Themenspezifische Specials
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Andreas Minder
«Dank Lars Lunde werden die Young Boys Schweizermeister 1986!» Diesen Satz rief Beni Thurnheer am 24. Mai 1986 ins Mikrofon. Lunde hatte eben sein zweites Tor gegen Neuchâtel Xamax geschossen, das 3:1 für die Gelbschwarzen. Es blieben noch 17 Minuten zu spielen, doch dass Xamax noch einmal zurückkommen würde, glaubte niemand. Wenig später fiel das 4:1. YB war eine Runde vor Schluss Meister.
Was heute mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen würde, war damals ein kleines Wunder. Es waren andere Zeiten. Bern hatte einen FDP-Stadtpräsidenten, die Reitschule stand leer – und YB «veryoungboyste» Meisterschaft um Meisterschaft. Ein Vierteljahrhundert lang hatte es der Verein nicht auf den ersten Platz geschafft – und danach sollten über dreissig Jahre ins Land gehen, bis er wieder gewinnen und sich zum Seriensieger mausern würde.
«In Bern bin ich weltbekannt.»
Das Wunder hatte viel mit dem jungen Dänen Lars Lunde zu tun, der 1984 erstmals im Wankdorf aufgelaufen war. Im Meisterjahr wurde er mit 21 Treffern Torschützenkönig und war einer der Bausteine des YB-Triumphs. Er war schnell, dribbelstark, treffsicher, ein Publikumsliebling. Auch wegen seiner vorlauten, direkten Art, seinem Witz. Das zeigt sich etwa auf der Fotografie der Meistermannschaft: Lunde kniet in der Mitte, den Pokal über den Kopf gestülpt.
37 Jahre später wird Lars Lunde immer noch erkannt, wenn er durch die Gassen der Hauptstadt geht, trotz kürzerer Haare und Falten im jungenhaft gebliebenen Gesicht. «In Bern bin ich weltbekannt», schmunzelt der 59-Jährige. Die zwei Jahre mit YB bezeichnet er als die schönste Zeit seines Lebens. «Bern hat mich gut aufgenommen. Die Fans haben mich auf Händen getragen.» Bis heute liegen für ihn bei Heimspielen zwei Tickets bereit. «Ich besuche fast jedes Spiel», sagt er. Auch wegen seiner Freundin, die ebenfalls ein grosser YB-Fan ist.
Seit 2008 wohnt Lunde wieder in Bern. Nachdem er lange als Operationsassistent im Spital tätig war, schlug er letztes Jahr ein neues berufliches Kapitel auf. Er arbeitet als Instruktor im Kieser. «Als sich mir diese Möglichkeit bot, überlegte ich nicht lange», sagt Lunde, der die Studios seines neuen Arbeitgebers bestens kennt. Seit 15 Jahren schwitzt er selbst an den Maschinen. «Das Konzept überzeugt mich und es macht mir Spass, mein Know-how an die Kunden weitergeben zu können.» Aus eigener Erfahrung weiss er, dass Krafttraining körperlichen Beschwerden vorbeugt. «Wenn du wenig machst, schwindet die Muskelmasse.» Das hat Folgen: Rückenschmerzen zum Beispiel, aber auch die Beweglichkeit nimmt ab, die Gefahr zu stürzen nimmt zu und der Kreislauf wird unstabiler. Schweiss und gelegentlicher Muskelkater lohnen sich also.
Dass ausgerechnet Lunde zum Verfechter von Krafttraining werden würde, hätte zu seinen fussballerischen Glanzzeiten niemand geglaubt. Er war nicht gerade als Trainingsweltmeister bekannt. Der Coach musste es schon anordnen, wenn er eine Hantel hochheben sollte. «Krafttraining ist mühsam, es macht keinen Spass», sagt er. «Aber es ist wichtig.» Für Fussballer*innen, wenn sie Spiele gewinnen wollen, für Normalos, wenn sie gesund bleiben wollen. «Es ist wie Zähneputzen. Es ist nicht vergnüglich, aber alle tun es.»
«Ich lerne, nett zu werden. Ich hoffe, dass die Kunden sagen: Der Lars ist ein freundlicher Mensch.»
Bei Lars Lunde war es nicht ein lästiges Zwicken im Rücken, das ihm die Bedeutung von Krafttraining vor Augen führt, sondern ein schwerer Schicksalsschlag. Doch davon ahnte er nach dem Meistertitel mit YB nichts. Im Gegenteil: Mit seiner Karriere ging es flott voran. Die Clubs rissen sich um den jungen Knipser. Als Uli Hoeness von Bayern München anrief, zögerte Lunde nicht. Ein Angebot von einer der besten Fussballadressen der Welt schlägt man nicht aus.
Doch der Schritt auf die ganz grosse Bühne gelang nicht. In 30 Spielen für die Münchner gelangen im ganze drei Tore, oft sass er auf der Ersatzbank oder der Tribüne. «Das Glück, dass ich in Bern hatte, habe ich in München nicht gehabt», sagt Lunde. «Wenn ich auf der Torlinie einen Ball bekam, traf ich die Cornerflagge.» Er wurde an den FC Aarau ausgeliehen, der damals in der Nationalliga A spielte. Am 12. April 1988, nach einem Spiel gegen YB, fuhr Lunde im aargauischen Oberentfelden über einen unbewachten Bahnübergang und kollidierte mit einem Triebwagen. Er blieb lange in seinem Auto eingeklemmt und erlitt schwere Hirnverletzungen. Nach zehn Tagen im Koma war alles anders. Er musste wieder lernen zu sitzen, zu stehen, zu gehen, zu schreiben.
Durch den wochenlangen Spitalaufenthalt hatte Lunde zehn Kilo Muskelmasse verloren. Mit viel Krafttraining baute er sie wieder auf. Er merkte, dass die Kraft die Basis für den ganzen Bewegungsapparat ist. Doch trotz aller Anstrengungen stellte sich bald heraus, dass er sein altes Leistungsvermögen nicht mehr erreichen würde. Er versuchte es je eine Saison lang beim FC Zug und dem FC Baden in der zweithöchsten Spielklasse, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Mit 26 Jahren trat er zurück. «Sie war viel zu kurz», sagt Lunde heute über seine Karriere. Manchmal überlegt er, was gewesen wäre, wenn… «Aber davon kannst du dir nichts kaufen. Dann atme ich tief durch und sage zu mir: Es ist o. k. Lars.»
Lunde sieht den Unfall und seine Folgen als Lebensschule. «Ich musste lernen, dass es nicht mehr so geht wie früher.» Er sei damit klargekommen, sagt er. Trotzdem quält ihn die Narbe im Kleinhirn manchmal. Zum Beispiel wenn er Fussball spielt mit der Ü-40 Mannschaft von Münsingen. «Wenn ein Ball kommt, weiss ich genau, wie ich ihn stoppen müsste, aber ich schaffe es nicht und liege stattdessen am Boden.» Die Beine machen nicht, was der Kopf will. «Das tut weh», sagt Lunde, der ein Wettkampftyp geblieben ist – doch zum Glück auch ein ziemlich positiver Mensch. «Ich bin zwar frustriert, doch am nächsten Tag versuch ichs wieder.»
Auch bei Kieser geht es darum, etwas immer wieder zu tun und besser zu werden – bei den Kundinnen und Kunden natürlich, aber auch bei Instruktor Lunde, der die Bewegungsabläufe begutachtet und korrigiert. Während der ersten drei Trainings gibt es eine Eins-zu-eins-Begleitung, jedes zwanzigste Mal ein Kontrolltraining. Wie erlebt Lunde diese Aufgabe? Er, der von sich selber sagt, er sei ein eigenwilliger, nicht gerade diplomatischer Typ. «Ich lerne, nett zu werden», sagt Lunde und lächelt. «Ich hoffe, dass die Kunden sagen: Der Lars ist ein freundlicher Mensch.»
Bleibt eine letzte wichtige Frage: Wird YB wieder Meister? «Wenn sie nicht gewinnen, sind sie selber schuld», sagt Lunde ganz undiplomatisch seine Meinung.
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