Auf der griechischen Insel Santorini wachsen Reben auf Sandboden und sind so gegen die zerstörerische Reblaus resistent.
Auf der griechischen Insel Santorini wachsen Reben auf Sandboden und sind so gegen die zerstörerische Reblaus resistent. (Hans-Peter Siffert/weinweltfoto.ch)
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Preziosen aus wurzelechten Reben

Um die Reblaus zu bekämpfen, pfropften die Winzer im vorletzten Jahrhundert ihre Reben auf reblausresistente Wurzeln. Doch es gibt sie noch, alte Rebstöcke, die auf ihren echten Wurzeln wachsen. Auch in der Schweiz.

Martin Kilchmann

Sind Weine aus Reben, die auf eigenen Füssen stehen, besser als jene, die auf amerikanische Wurzeln gepfropft sind? Ja, behaupten europäische Winzer und Wissenschaftler, die sich die Wiederbelebung des Weinbaus mit wurzelechten Reben auf die Fahne geschrieben haben. Die Vereinigung nennt sich «Francs de Pied». Der Walliser Rebsortengenetiker José Vouillamoz engagiert sich selbst tatkräftig in dieser Bewegung. Er sagt: «Reben, die frei und ungepfropft im Weinberg stehen, sind in jüngster Zeit zu einem Schlachtruf geworden.»

Den wurzelechten Reben hat einst die Reblaus (Phylloxera) den Garaus gemacht. Dieses kleine, gelbe Insekt ist ein wahrhaft lausiges Tierchen. Es lebt an den Wurzeln, saugt deren Saft aus und bringt die Pflanze zum Absterben. Im vorletzten Jahrhundert aus Amerika eingeschleppt, zerstörte es einen Grossteil der europäischen Rebberge und brachte die Weinerzeugung praktisch zum Erliegen.

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Als einziges probates Mittel gegen die Killerlaus schälte sich nach zeitraubenden Untersuchungen die Pfropfung europäischer Edelreiser auf amerikanische, reblausresistente Wurzeln heraus. Seither beruht der Weinbau auf einer transatlantischen Zusammenarbeit: traditionelle europäische Vitis-Vinfera-Reben werden mit amerikanischen Unterlagen verbunden. Die Reben besitzen eine Wurzel, welche die Reblaus verschmäht, und am Tageslicht gedeihen Trauben der wertvolleren europäischen Sorten. Vouillamoz präzisiert: «Es besteht kein Transfer der DNA zwischen der Unterlagsrebe amerikanischen Ursprungs und der Rebsorte europäischer Herkunft. Die Unterlage verändert somit die Identität der Rebsorte nicht.»

15 Prozent der Reben wachsen noch auf ihren echten Wurzeln

Unwohl fühlt sich die Reblaus in Sand-, Schiefer oder vulkanischen Böden. Hier konnte sie sich nicht verbreiten. Gegen 15 Prozent aller Reben weltweit wachsen deshalb heute noch auf ihren echten Wurzeln. Die meisten Weine aus wurzelechten Reben finden sich im reblausunversehrten Chile sowie in einzelnen Teilen von Australien und Argentinien. In Europa sind ausser Zypern nur kleine, isolierte Flecken mit speziellen Bodenbedingungen reblausfrei geblieben, so in Spanien und Portugal. Auch die Mosel verfügt dank ihren kargen Schieferböden über einen wertvollen Schatz alter Weinberge mit wurzelechten Rieslingstöcken.

In der Schweiz kennt José Vouillamoz bloss drei Weinberge mit wurzelechten Reben, aus denen Wein in den Verkauf gelangt. Zwei befinden sich in Graubünden: Der legendäre Malanser Completer von Giani Boner aus einer Parzelle der Completer-halde in Malans sowie ein Jeninser Blauburgunder «Wurzelecht» von Jenny Weine. Der dritte steht in Visperterminen und wird von der Kellerei St. Jodern gepflegt. Sie keltert daraus ihren Heida «Veritas».

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2020 Carignano del Sulcis, Bentesali, Vigne Bentesali, Sardinien. Ein sehr würziger, balsamischer Wein mit vielschichtiger Aromatik, einer feinen, lebendigen Säure und eleganten Tanninen. Im Stahltank und in geringer Flaschenzahl ausgebaut. Ein Geheimtipp. Fr. 25.– divo.ch
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Tipps vom Weinexperten Martin Kilchmann

Wer heute noch wurzelechte Reben bewirtschaften kann, hat natürlich eine hübsche Geschichte zu erzählen und verfügt mithin über ein treffliches Verkaufsargument. Denn immer mal wieder hört man die Meinung, dass die Weine zu Zeiten vor der Reblaus besser, authentischer, langlebiger gewesen seien. Auch Vouillamoz glaubt, «dass Weine aus wurzelechten Reben mehr Komplexität und Tiefgründigkeit sowie finessenreichere Tannine bieten». Und der Rieslingwinzer Egon Müller, vom weltberühmten Scharzhof an der Saar, auch er ein Mitglied von «Francs de Pied», sagt: «Der Rebstock ist halt aus einem Stück.» Ein Drittel seines Scharzhofbergs sei noch wurzelecht. «Das ist sensorisch eindeutig unterscheidbar: Wenn die Mostgewichte vergleichbar sind, ist der Wurzelechte immer besser.»

Zu beweisen ist das natürlich nicht, und viele Rebwissenschaftler zeigen sich skeptisch darüber. Im Weinbau mit wurzelechten Pflanzen sehen sie keinen entscheidenden Vorteil, wenn die entsprechende Unterlagsrebe sorgfältig auf Boden, Klima und Rebsorte abgestimmt wird. Der Australier Richard Smart, einer der bedeutendsten lebenden Weinbauexperte, schreibt: «Experiment zeigen, dass nur wenige Auswirkungen auf die  Weinqualität unmittelbar der Unterlagsrebe zuzuschreiben sind. Der Einfluss der Veredelungsunterlage auf die Weinqualität ist vermutlich nicht grösser als die Wirkung anderer Faktoren wie Boden, Klima, Düngung und Bewässerung.»

Je älter die Rebe, desto tiefer liegt ihr Ertrag

Praktisch Einmütigkeit herrscht in der Weinwelt allerdings darüber, dass ältere Reben – aufgepfropft oder wurzelecht ist da zweitrangig – hochwertigeren Wein liefern. Das leicht an der Stärke und Dichte des Stamms abschätzbare Alter der Rebe gilt als qualitätsbeeinflussender Faktor. Je älter die Rebe, desto regelmässiger und auch tiefer liegt ihr Ertrag. Und ein tieferer Ertrag führt zu konzentrierteren Weinen.

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Frankreich und Spanien sind vielleicht die europäischen Länder mit dem grössten Bestand an alten Reben. Zu Werbezwecken wird daraus gezielt Profit geschlagen, wenn – besonders häufig im Burgund – das Etikett mit der Affiche «Vieilles Vignes» darauf hinweist. Auch im australischen Barossa Valley versteht man diesen Schatz geschickt zu kommunizieren. Andere qualitätsbewusste Produzenten wählen eine auf den ersten Blick weniger offensichtliche Strategie, ihre alten Reben effizient zu nutzen: Sie schaffen für den Wein aus den jungen Reben im Alter bis zu fünfzehn oder zwanzig Jahren eine Zweitmarke und reservieren die Frucht der alten Reben exklusiv für den Erstwein oder – wie es im Bordelais heisst – Grand Vin.

Wein aus alten Reben ist also ein erstrebenswertes Gut. Nur: Bei aller Wertschätzung der knorrigen Stöcke ist Karl Josef Loewen vom Weingut Loewen im deutschen Leiwen beizupflichten, wenn der renommierte Moselwinzer, der selber noch Methusalem-Reben pflegt, die nie von der Reblaus befallen wurden, sagt, dass ein derartiger Besitz noch lange kein Garant für hochwertigen Wein sei. «Entscheidend ist, was der Winzer draus macht.»

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