Infografik zum Generationen-Barometer: Wie optimistisch blicken wir in die Zukunft?
Infografik zum Generationen-Barometer: Wie optimistisch blicken wir in die Zukunft? (zvg)
Ü - Die besten Jahre

Driften Jung und Alt auseinander?

Von den Babyboomern bis zur Generation Z: Der Generationen-Barometer des Berner Generationenhauses hat den Puls der Schweizer Gesellschaft gefühlt – mit teils überraschenden Ergebnissen.

Sarah Sartorius

81 Prozent der jungen Menschen zwischen 18 und 25 Jahren sehen die Zukunft pessimistisch, mehr als ein Drittel der Bevölkerung tauscht sich praktisch nur mit Gleichgesinnten über politische Themen aus und rund zwei Drittel finden, dass Grosseltern für das Hüten der Enkel*innen entlöhnt werden sollten. Diese und weitere überraschende Erkenntnisse gehen aus dem im letzten Jahr veröffentlichten Generationen-Barometer hervor, einer repräsentativen Studie, die das Berner Generationenhaus gemeinsam mit dem Forschungsinstitut Sotomo durchgeführt hat. «Es ist eine Art Sehnsuchtsbarometer, wir wollen die Leute nicht zur Krankenkasse befragen, sondern zu dem, was sie im Innern beschäftigt. Wie steht es um die Generationensolidarität, was bewegt sie? Wir wollen den gesellschaftlichen Dialog anregen», sagt Till Grünewald, Leiter des Hauses, der die Studie in Auftrag gegeben hat.

Der Pessimismus der Jungen

Ihn stimmt vor allem der Pessimismus der jungen Generation nachdenklich – gleichzeitig sind die Hälfte der Befragten über 55 mit ihrem Leben sehr zufrieden. «Jungsein ist kein Privileg mehr und das Generationenversprechen, also dass es der nachfolgenden Generation immer besser geht, daran scheinen die 18- bis 35-Jährigen nicht mehr zu glauben», sagt er. Auch die psychische Gesundheit ist für Jugendliche ein grosses Thema, sicher auch, weil heute mehr als früher offen über psychische Probleme gesprochen werde.

Für das Berner Generationenhaus ist dies der Anlass, ab diesem Sommer zusätzliche niederschwellige Beratungs- und Informationsmöglichkeiten im Bereich psychische Gesundheit anzubieten, unter anderem im Rahmen von «Walk-In»-Angeboten mit verschiedenen Fachpersonen, Wissensvermittlung sowie einem «Kiosk», der Hilfe zur Selbsthilfe bietet. «Wir möchten Lebenshilfe anbieten, nicht nur in akuten Phasen, sondern als Anstoss für ein gelingendes Leben.»

Welche Rolle sollen Grosseltern einnehmen?
Welche Rolle sollen Grosseltern einnehmen? (zvg)

Das Unwissen der Älteren

Ein Hintergedanke der Studie, die das Berner Generationenhaus bereits zum dritten Mal durchgeführt hat, ist immer auch das Austesten von möglichen Fokusthemen für die Installationen, Veranstaltungen und Workshops im Soziokulturzentrum. Bis Ende April prägte der Schwerpunkt «Erfolg» das Generationenhaus. Was macht ein erfolgreiches Leben aus? 31 Prozent beantworteten diese Frage mit Familie und Kinder, berufliche Erfolge stehen mit 21 Prozent klar an zweiter Stelle. Das nächste Thema, das Grünewald und sein Team genauer unter die Lupe nehmen wollen, ist das Erben. Die Studie ergab, dass knapp die Hälfte (47 Prozent) gegen eine Erbschaftssteuer ist, gleichzeitig wird der Graben zwischen Arm und Reich als grösste Herausforderung angesehen (70  Prozent).

Und wie steht es um den vielbeschworenen Generationengraben? Nur ein Viertel aller Befragten hat den Eindruck, es bestehe eine Diskrepanz zwischen Jung und Alt. Allerdings verspüren die Befragten der Generation Z sehr wohl ein Auseinanderdriften der Generationen. «Tatsächlich scheint vielen älteren Menschen nicht bewusst zu sein, dass die Jungen unzufrieden sind und ängstlich in die Zukunft blicken. Klar erleben diese alle Vorteile der Digitalisierung und des technischen Fortschritts, aber sie messen ihr Glück nicht am Wohlstand, sondern an sinnstiftenden Tätigkeiten und bereichernden Beziehungen ausserhalb von Social Media», fasst es Till Grünewald zusammen.

«Vom extremen Bild einer Greta Thunberg, die einem Donald Trump gegenübersteht, müssen wir wegkommen.»

Gleichzeitig erlebe er gerade bei ihnen im Haus immer wieder den gelungenen Dialog zwischen den Generationen. «Ich denke, vom extremen Bild einer Greta Thunberg, die einem Donald Trump gegenübersteht, müssen wir wegkommen», sagt er. Man könne den Generationengraben auch heraufbeschwören, gerade bei Abstimmungskampagnen ein beliebtes Mittel. Umso wichtiger sei es, den Generationendialog weiter zu fördern. «Unsere Angebote und Untersuchungen sind ein Puzzleteil davon.»

Eigenes Tun kritischer beurteilen

Während 83 Prozent aller Befragten davon ausgehen, dass der eigene Einfluss auf das positive Gestalten der Zukunft klein ist, vertraut die pessimistisch gestimmte Generation Z am ehesten in einen selbst herbeigeführten Wandel. Ein Drittel der unter 26-Jährigen sieht eher Einflussmöglichkeiten auf die Zukunft. Sie will sie aktiv mitgestalten und vertraut auch in die Politik. «Das macht hoffnungsvoll», findet Grünewald, «ist aber gleichzeitig auch eine grosse Verantwortung».

Eine Diskrepanz gibt es auch in der Einschätzung der eigenen Nachhaltigkeit. Nur 52 Prozent ist es wichtig, sich ökologisch nachhaltig zu verhalten. «Gerade bei den jüngeren Befragten öffnet sich die Lücke zwischen dem Problembewusstsein und dem effektiven Verhalten», ist im Generationen-Barometer zu lesen. «Bei den über 75-Jährigen schlägt die Schere ins Gegenteil um: Sie schätzen ihren Lebensstil als vergleichsweise klimafreundlich ein, obwohl ihnen nachhaltiges Verhalten eher weniger wichtig ist als den Jungen.» Till Grünewald sieht eine mögliche Erklärung darin, dass die Jungen das eigene Verhalten kritischer beurteilen. Für ältere Menschen zähle vielleicht bereits weniger zu fliegen als nachhaltiges Handeln, während es für Jüngere bedeute, ganz auf Fleisch zu verzichten.

Wie sieht es mit unserer Wahrnehmung der eigenen Nachhaltigkeit aus?
Wie sieht es mit unserer Wahrnehmung der eigenen Nachhaltigkeit aus? (zvg)

Care-Arbeit ja, aber entlöhnt

Übereinstimmung über die Generationen hinweg gibt es bei einem anderen Thema: Vier von fünf Befragten sind der Meinung, dass die Grosseltern die Enkelkinder betreuen sollen. Zudem sind 65 Prozent der Meinung, dass die Betreuung auch vergütet werden soll. Eine Mehrheit würde diese Vergütung am ehesten in Form von Betreuungsgutschriften für die AHV begrüssen, also als Zuschläge zum rentenbildenden Erwerbseinkommen. Ein Anliegen, für das auch der Verein Grossmütter Revolution schon länger kämpft (siehe Artikel aus Seite 6). «Es findet ein Umdenken statt», so Grünewald.

Weniger einig sind sich die Befragten jedoch in der umgekehrten Frage: «Sollten Enkel sich um ihre betreuungsbedürftigen Grosseltern kümmern?» Nur 51 Prozent sprechen sich dafür aus. Bei den Fragen zur Betreuung gibt es zudem einen doch eher überraschenden Geschlechtergraben: «Die Erwartung, dass die Betreuungsleistung von Grosseltern gratis erbracht werden sollte, haben besonders ältere Männer, aber auch junge Männer. Dies, obwohl bekanntermassen die Grossmütter mehr Betreuungsstunden leisten als die Grossväter. Männer erwarten also eher als Frauen kostenlose Fürsorgearbeit, gerade weil sie diese selbst seltener leisten», heisst es in der Studie.

«Care-Arbeit und die fehlende Entlöhnung dieser ist ein Thema, das unsere Gesellschaft zurzeit sehr beschäftigt», sagt Till Grünewald. Der Generationen-Barometer erlaube es ihnen, mit einem politisch und konfessionell unabhängigen Hintergrund brisante politische Themen aufs Parkett zu bringen und den Puls der Gesellschaft zu fühlen. «Im Grunde geht es um die grosse Frage: Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben?»

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