«Im Mittelpunkt steht die Frage, wie wir die gesamte Lebensspanne möglichst gesund verlängern können»: Yael Adler.
«Im Mittelpunkt steht die Frage, wie wir die gesamte Lebensspanne möglichst gesund verlängern können»: Yael Adler. (Picture Alliance)
Gesundheit

«Zu viel Salz ist Gift für den Körper»

Die Fachärztin und Erfolgsautorin über die Wichtigkeit von pflanzenbetonter Ernährung, Schmusen gegen Stress und den Konsum von vier bis fünf Tassen Kaffee täglich.

Silvia Aeschbach

In einem Interview haben Sie kürzlich gesagt, dass Sie vieles machen würden, um möglichst lang gesund zu leben. Was meine Sie damit?
Ich hoffe, mit meinem Lebensstil dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen (lacht). Und dies ohne allzu verkrampfte Anstrengung, dafür mit viel Freude. Dazu gehört, dass ich mich im Alltag viel bewege, Ausdauer-, Kraftsport und funktionelles Training mache, pflanzenbetont esse und auf industriell verarbeitete Nahrung verzichte. Alkohol trinke ich nur gelegentlich und wenig. Und wenn, dann ein Glas Rotwein zum Essen mit Genuss. Ich achte zudem auf eine gute Schlafhygiene und pflege meine sozialen Kontakte. Dazu gehört auch ausgiebiges Schmusen mit der Familie.

Schmusen gegen den Stress?
Genau, denn Stress ist tatsächlich etwas, das ich nicht so gut regeln kann.

In unserer Gesellschaft ist das Altern immer noch ein Tabuthema. Ein Grund, dass Longevity aktuell so boomt?
Der Wunsch, sich zu verjüngen, ist ja nicht neu, sondern ein Menschheitstraum. Longevity liegt heute aber auch im Trend, weil die Wissenschaft dieses Gebiet entdeckt hat. Und zwar nicht als Beauty-Thema, sondern auf zellulärer, molekularer und biochemischer Ebene. Damit gelingt es tatsächlich, den Körper zu verjüngen. Die Wissenschaft sagt heute voraus, dass es mit den entsprechenden Massnahmen möglich ist, 22 Jahre länger zu leben.

Mit dem Ziel, weit über hundert Jahre alt zu werden?
Nein. Im Mittelpunkt der Forschungen steht die sogenannte «Healthspan», und die Frage: Wie können wir die gesamte Lebensspanne möglichst gesund verlängern. Aber ja, es gibt auch Bestrebungen für ein deutlich längeres Leben – etwa 200 Jahre oder mehr...

Damit wären wir unseren Genen also nicht mehr komplett ausgeliefert?
Man kann der Genetik, die bei der Gesundheit und Langlebigkeit zwischen zehn und dreissig Prozent ausmacht, mit einem entsprechenden Lebensstil deutlich etwas entgegensetzen. Wichtig ist die Prävention und dass wir jene Risikofaktoren, die wir beeinflussen können, reduzieren.

Nicht alles im Leben lässt sich präventiv vorkehren. Überschätzt Longevity in dieser Hinsicht nicht ihre Möglichkeiten?
Natürlich gibt es gesundheitliche Schicksalsschläge, die wir nicht verhindern können. Aber, wer bewusster lebt und seinen Körper kennt, bei dem kann eine Krankheit heilbar sein oder sie wird leichter verlaufen. Für mich lohnt es sich auf alle Fälle, an meiner Gesundheit und meinem Lebensstil immer wieder etwas zu «schrauben».

Älterwerden ist bekanntlich kein Zuckerschlecken. Warum soll ich hundert Jahre alt werden, wenn rund um mich alle Freunde wegsterben?
Alt und krank zu werden und dabei seine Fähigkeiten zu verlieren, ist schwierig. Aber es könnte ja auch gelingen, den Alterungsprozess positiv zu beein-flussen. Dies am besten zusammen mit seinen Mitmenschen. Denn ein ganz wichtiger Anti-Aging-Faktor ist es, ein gutes Umfeld zu haben und seine sozialen Kontakte zu pflegen.

«Die Wissenschaft sagt heute voraus, dass es mit den entsprechenden Massnahmen möglich ist, 22 Jahre länger zu leben.»

Und diese Kontakte müssen sich ja nicht auf Gleichalterige beschränken.
Nein. Wenn man Glück hat, passiert das auch über die eigene Generationengrenzen hinaus. Alte Menschen sind ja nicht automatisch uninteressant. Vor allem, wenn sie innerlich jung und agil bleiben, können Jüngere von ihrer Lebenserfahrung und ihrer Weisheit profitieren.

Kommt die Rede auf Longevity, fällt immer wieder der Namen des Amerikaners Bryan Johnson, der sein ganzes Leben darauf ausrichtet, rückwärts zu altern.
Bryan Johnson aus dem Silikon Valley kauft sich jährlich für zwei Millionen Dollar wissenschaftliche Diagnostik und Therapien, um nie sterben zu müssen. Sein Alltag ist in einem so straffen Raster, da stellt sich für manche schon die Frage, ob das ein lebendiges Leben ist. Oder ob dies nicht eine andere Art von Tod ist. Ein Tod der Lebensfreude, Spontanität und des Genusses.

Johnson setzt unter anderem auf bekannte Massnahmen wie Sport, Ernährung, Gewichtskontrolle und den Verzicht auf Genussmittel. Ein Vorbild?
Bryan Johnson ist ein extremes Beispiel, weil er ein Team von Wissenschaftlern beschäftigt, die weltweit die aktuellsten und wirkungsvollsten Methoden suchen, um sein Projekt zu unterstützen. Er sammelt permanent Daten über sich. Seine Erfahrung stellt er aber auch anderen zur Verfügung. Das kann man schräg finden oder sich inspirieren lassen. Für uns Normalsterbliche sehe ich vor allem die Eigenverantwortung für den eigenen Lebensstil. Dazu gehört das Wissen, wie die einzelnen Bestandteile unseres Organismus funktionieren. Wie sie ineinandergreifen und wie sich der Körper mit der Zeit verändert. Und was man selber tun kann oder lassen sollte.

Welchen Einfluss hat das Essen bezüglich Langlebigkeit?
Das Wichtigste ist eine pflanzenbetonte Kost. Sie hilft, Krebs vorzubeugen und das Herz-Kreislauf-System zu schützen. Durch sie erhält der Körper die für ihn so wichtigen Ballaststoffe, Vitamine, Spurenelemente, Mineralien, Omega-3-Fettsäuren und sekundäre Pflanzenstoffe. Durch diese Form der Ernährung bekommt unser Organismus nicht nur lösliche und fasrige Ballaststoffe, die so wichtig für die Verdauung sind, sondern auch probiotische Bakterien, besonders etwa durch ungespritztes Gemüse aus dem Garten oder auch durch  effektive Mikroorganismen. Eine Handvoll Nüsse täglich soll das Leben übrigens um zehn Jahre verlängern (lacht).

Und was verkürzt die Lebensdauer?
Zucker und zu viel Salz sind Gift für den Körper. Zucker verklebt alle Eiweiss-Strukturen im Körper, fördert Insulinresistenz und Diabetes sowie Übergewicht und Karies. Mehr als ein Teelöffel Salz täglich verursacht einen hohen Blutdruck und schädigt die Darmflora. Zudem ist zu viel Salz mitverantwortlich für Osteoporose. Alkohol ist ein Zellgift und sollte, wenn überhaupt, unregelmässig und in kleinen Mengen getrunken werden. Hingegen sind vier bis fünf Tassen Kaffee täglich super gesund und helfen, um Diabetes, Demenz, Herzkreislauferkrankungen oder Krebserkrankungen vorzubeugen.

Stimmt es, dass man ab einem gewissen Alter die Eiweissmenge in seiner Ernährung erhöhen sollte?
Genau. Wir alle profitieren von mehr Eiweiss, insbesondere wenn wir altern oder Sport treiben. Ein bis zwei Gramm pro Kilogramm Körpergewicht dürfen es gerne sein. Ab 65 sollte man etwas mehr tierisches Eiweiss essen. Dies, weil in dieser Lebensphase der Muskelabbau stark voranschreitet und durch tierische Nahrung bioverfüg-bares Eiweiss schneller und effektiver in den Körper gelangt. Zwischen 50 und 65 sind hingegen pflanzliche Eiweissquellen gesünder. Das wären beispielsweise Kichererbsen, Nüsse, Kerne und Saaten.

Ärztin und Bestsellerautorin

Yael Adler ist Fachärztin für Dermatologie, Venerologie und Ernährungsmedizin. Und sie ist Autorin zahlreicher Sachbücher. Ihr letztes heisst «Genial vital – wer seinen Körper kennt, bleibt länger jung» (Droemer Verlag). Dort vermittelt sie Wissen und gibt Tipps zum Thema Langlebigkeit. Adler hat eine Praxis in Berlin und hat an der Clinic Utoquai in Zürich den Bereich Longevity aufgebaut. Demnächst startet sie mit einer eigenen Sprechstunde.

Die Zürcher Clinic Utoquai, wo Sie seit kurzem als Anti-Aging-Medizinerin arbeiten, ist vor allem für ihre plastische und ästhetische Chirurgie bekannt. Welche Aufgabe haben Sie?
Ich bringe meine dermatologischen und ernährungsmedizinischen Kenntnisse ein, denn die richtige Nahrung ist auch die Grundlage für eine gesunde Haut. So kann ein Bluttest darüber Aufschluss geben, welche Vitamine, Spurenelemente und Mikronährstoffe dem Körper fehlen. Eine gute Darmflora, die man über moderne Mikrobiomanalysen überprüfen kann, ist in der Lage, die Haut von innen heraus massiv zu unterstützen. Das betrifft übrigens auch das Immunsystem und die Organgesundheit. Darüber hinaus können wir das biologische Alter messen, eine Schlafanalyse vornehmen oder mit Hormonen arbeiten.

Welche Nahrungsmittel können diese Mikrobiome positiv beeinflussen?
Eine positive Wirkung auf die Darmflora wird vor allem den Präbiotika, also löslichen Ballaststoffen wie Akazienfasern, Flohsamenschalen, bitteren Salatsorten, Wurzelgemüsen oder Wassermelone und den «lebendigen» Lebensmitteln, den Probiotika, zugeschrieben. Diese gesundheitsförderlichen Mikroorganismen kommen beispielsweise in original griechischem Joghurt, Kefir und Buttermilch, aber auch in nicht erhitzten fermentierten Lebensmitteln wie Sauerkraut, Kimchi, eingelegten Gurken und Zwiebeln vor.

Im Gegensatz zu vielen Ihrer Kollegen und Kolleginnen sind Sie für Ihre Gradlinigkeit, Ihre Empathie und Ihren Humor bekannt.
Danke für das Kompliment. Bei meiner Arbeit als Ärztin sind mir Offenheit, Respekt und Vertrauen im Umgang mit meinen Patienten wichtig. Daneben versuche ich auch, ihre Neugierde zu wecken, indem ich gewisse Sachverhalte bildlich und somit nicht allzu trocken vermittle. So bleiben gewisse Dinge besser im Gedächtnis haften.

In diesem Zusammenhang gibt es eine hübsche, sehr bildliche Anekdote von Ihnen. Erzählen Sie uns diese?
Der Klassiker in meinem Fachgebiet, der Dermatologie, ist folgender: Nach 35 sollte man sich nackt vor den Spiegel stellen und sein Gesicht mit dem Po vergleichen. In den meisten Fällen zeigt das Gesicht all die Schäden, die uns das Licht angetan hat – die Lichtalterung mit braunen Sonnenflecken, roten Äderchen, Knitterfältchen, Rauigkeiten, die nicht mehr abheilen, und vieles mehr. Schaut man dagegen seinen Po an, dann besitzt dieser eine homogene Fläche ohne Flecken, Adern oder Knitterfältchen. Die einzige grosse Falte, die man sieht, gehört auch dahin (lacht). Und da unser Po und unser Gesicht gleich alt sind, ist – jedenfalls auf unserem Gebiet – der Begriff «Arschgesicht» ein Kompliment.

Themenspezifische Specials

Mit themenspezifischen Specials, welche als zusätzlicher Zeitungsbund erscheinen, bieten die Verlagsbeilagen von Tamedia SonntagsZeitung ihren Leserinnen und Lesern regelmässig einen attraktiven Mehrwert.